Tagebuch

 

Vorwort

Durch mehrere längere und kürzere Touren mit dem Fahrrad in Deutschland und im nahen Ausland mit und ohne Begleitung wuchs über viele Jahre der Wunsch, größere Touren zu planen und durchzuführen. Als Skandinavien-Liebhaber habe ich schon öfter über eine Reise durch Nord-Schweden und Nord-Norwegen nachgedacht, eine Fahrt zum Nordkap aber irgendwie immer als zu extrem und unrealistisch abgetan. Beim Lesen zahlreicher Reiseberichte im Internet und deren ausnahmslos positiven Resümees war jedoch klar, dass es diese Tour sein sollte. Nach der langen Phase des Planens und der noch länger dauernden Wahl der Ausrüstung saß ich schließlich an einem Montagmorgen im Sommer 2008 in einem Zug Richtung Norden. Nach monatelanger Entschlossenheit wurden nach kurzer Fahrzeit ernste Zweifel über dieses Vorhaben geweckt, doch die Sehnsucht nach der Ferne, der Herausforderung und das 107 Euro teure Bahnticket ließen diese Zweifel schnell wieder zerplatzen. In den folgenden Zeilen schildere ich den Reiseverlauf sowie meine persönlichen Eindrücke.


Tag 1  Eisenach - Aalborg (Bahn)

Gedacht war, mit der deutschen und dänischen Bahn von meinem Heimatort Eisenach nach Frederikshavn in Dänemark zu fahren. Durch zwei satte Vollbremsungen eines Nahverkehrszuges erreiche ich meinen Anschluss-IC von Kassel nach Hamburg nicht. Da man im IC jedoch einige Wochen vor der gewünschten Fahrt einen Fahrrad-Stellplatz reservieren muss, wissen die Damen im Reisezentrum Kassel-Wilhelmshöhe nichts mit mir anzufangen. Alle Fahrrad-Stellplätze in den nachfolgend verkehrenden InterCity sind komplett ausgebucht, nach eineinhalb Stunden (!) kommt man schließlich auf die prickelnde Idee, mich mit dem Nahverkehr nach Hamburg fahren zu lassen, damit ich dort die Anschlusszüge nach Dänemark nehmen kann.

So komme ich an diesem Tag nicht wie geplant halb sieben in Frederikshavn an, sondern um zehn in Aalborg, was noch über eine Bahn-Stunde von Frederikshavn entfernt ist. Nach 17 Stunden Zugfahrt leitet mich mein Navi schnell und zuverlässig zum städtischen Campingplatz, wo ich mit letzter Kraft mein Zelt aufbaue und die Entscheidung treffe, meine gebuchte Fährfahrt von Frederikshavn nach Oslo am folgenden Tag um einen Tag zu verschieben.


Tag 2  Aalborg - Frederikshavn

Nach dem nächtlichen Erholen von Tag eins baue ich gemütlich mein Zelt ab und fahre, da ich keine Züge mehr sehen kann, mit dem Fahrrad die fehlenden 70 Kilometer nach Frederikshavn. Das Wetter ist genau richtig, die Landschaft aber etwas eintönig.

Auf dem „Topcampingplatz Nordstrand“ baue ich mein Zelt auf und kaufe mir ein neues Fährticket für den folgenden Tag. Der „Kebab mit Spezialdressing“ für umgerechnet 5,50 Euro zum Abendbrot schmeckt relativ scheußlich und mit sehr flauem Gefühl in der Magengegend fahre ich zurück zum Campingplatz.

Dort hat inzwischen Gordon, Mathelehrer aus Schottland, sein Zelt aufgebaut. Nach seinem Einkauf im Campingplatz-Shop kommt er mit sechs gekühlten Tuborg Pilsner wieder, die wir uns in der Abendsonne teilen. Wir plaudern zwei Stunden über den Sinn der Art unseres Reisens bzw. den Unsinn, den andere darin sehen; über seine „three punctures“ an diesem Tag (alle im Regen) und begucken unsere Bikes. Gordon ist ohne Schaltung unterwegs und hat sich deshalb Strecken ausgesucht, die nicht so bergig sind. Er ist über die Niederlande und Deutschland hierher nach Dänemark gefahren und will nun mit der Fähre nach Göteborg und dann mit dem Rad bis Bergen.

Da auch er am nächsten Tag die Fähre nehmen will und zeitig aufstehen muss, gehen wir nicht all zu spät ins „Bett“.


Tag 3 und 4  Frederikshavn - Oslo - Trondheim - Östersund (Fähre, Bahn)

Die achteinhalbstündige Fahrt mit der Fähre von Frederikshavn nach Oslo verläuft super, ich sitze die meiste Zeit an Deck, zum Mittag gibt’s ein paar Snickers aus dem Tax Free Shop. Besonders beeindruckend sind gegen Ende der Fahrt die Oslofjorde, die die Landschaft der nächsten Wochen erahnen lassen. Nebenbei unterhalte ich mich mit einem älteren Herrn, der vor über 40 Jahren aus Nürnberg nach Norwegen gezogen ist, über das Land und seine Menschen.

In Oslo angekommen ist es unweit zum Bahnhof, wo ich mir ein Ticket für den Nachtzug nach Trondheim kaufe, dieses ist arschteuer (111 Euro), da die Dame am Schalter meinen Studentenausweis als solchen nicht anerkennen will. Obendrein ist keine Sitzplatzreservierung mehr möglich, ich muss also auf der achtstündigen Fahrt mit ständigem Platzwechsel rechnen. Die vier Stunden Wartezeit am Bahnhof sind ätzend lang, um 23 Uhr geht’s dann endlich los. Kurz zuvor steigen noch zwei Deutsche in meinem Alter mit dem bepackten Rad ein, die Glücklichen haben jedoch eine Platzreservierung.

Nach zehn Minuten Fahrzeit muss ich zum ersten Mal den Platz wechseln, fängt ja prima an... Nach dem zweiten Platztausch wenig später sitze ich am Fenster und versuche, das Gesicht mit dem Pullover zugedeckt und Ohropax in den Ohren, zu schlafen. An jedem Bahnhof gucke ich raus, wer gleich auf meinem Platz sitzen wird, und jedes Mal wenn sich die Schiebetür des Wagens öffnet, denke ich: „Das war’s“. Aber es kommt keiner der mich antippt. Um Mitternacht wird das Licht stark gedimmt und irgendwann scheine ich sogar einzudösen.

Kurz vor Ankunft in Trondheim wache ich auf, die ganze Zeit habe ich nur Mist geträumt und das Gefühl, nur eine halbe Stunde geschlafen zu haben. Aber ich sitze immer noch auf demselben Platz. Ob jemand eine Reservierung für diesen hatte, werde ich wohl nie erfahren.

In Trondheim muss ich nur eine Stunde auf den Zug nach Östersund warten und lasse mir mit einem starken Kaffee in der Hand im Hafen von Trondheim die aufgehende Sonne ins Gesicht scheinen. Nach einem Schwätzchen mit einer Dame aus Wales, die auf ihr Frühstück (und ihren Mann) wartet, beschließe ich, diesen Ort, das hübsche Bahnhofsgebäude am idyllischen Hafen von Trondheim, wiederzusehen. In vier Wochen.

Die vierstündige Fahrt nach Östersund ist spitze, die Landschaft atemberaubend. Die Häuser werden nach und nach immer mehr falunrot – ich bin in Schweden. Nach der Ankunft baue ich mein Zelt auf dem Campingplatz am Stadtrand von Östersund auf. Nach einem Stadtbummel, dem Herumlungern am Hafen und lecker Nudeln schlafe ich zwölf Stunden wie ein Baby.


Tag 5  Östersund - Strömsund

Ich wache auf, es regnet. Doch nach dem Frühstück hört es auf und bleibt den ganzen Tag schön. Mein erster richtiger Tag auf dem Fahrrad, lang hat’s gedauert bis hierher. Ich fahre auf der E45 durch endlosen Wald, landschaftlich einigermaßen abwechslungsreich, aber nie langweilig.

Vorbei an Strömsund baue ich am Nachmittag mein Zelt in der Nähe der E45 und der Gleise an einem See auf, in der Hoffnung an diesem Wasser zapfen zu können. Dies gestaltet sich jedoch etwas kompliziert, da kein festes Ufer vorhanden ist, sondern der See direkt in Sumpf übergeht.

Diese Nacht ist mein Debut im Wildcampen und ich bin gespannt, was mich erwartet...


Tag 6  Strömsund - Dorotea - Vilhelmina

Die Nacht war wunderbar und die E45 nahezu lautlos, Tiere haben sich keine gemeldet und mysteriös knackende Äste gab es auch nicht.

Der Tag beginnt sonnig, das Zelt ist schnell abgebaut und ich wieder on the road. Vorbei an zahlreichen Seen ist die Strecke den ganzen Tag über sehr beeindruckend, doch um eins beginnt es zu regnen. Bis zur Ankunft auf dem Campingplatz in Vilhelmina hört es aber immer wieder auf und alles in allem ist die Fahrt ziemlich okay.

Dort angekommen fängt es dann richtig an und so kann ich nicht vermeiden, mein Zelt im Regen aufzubauen, doch mein Zeug ist schnell wieder getrocknet. Nach dem Einkaufen und Essen mache ich Fotos vom verträumten See, da mir kalt ist verschwinde ich aber recht schnell im Schlafsack.


Tag 7  Vilhelmina - Blattnicksele

Ein perfekter Tag, so müsste es immer sein. Aber dann wäre es ja irgendwann auch langweilig. Bei strahlendem Sonnenschein bin ich kurz nach zehn auf der Piste. Nach einigen hundert Metern ist plötzlich ein schleifendes Geräusch hinter mir zu vernehmen, zum Glück jedoch nur der Helm, der runtergerutscht ist und immerzu auf den Reifen fällt.

Die Strecke ist wieder sehr malerisch und pünktlich um eins, wie gestern, Regen. Diesmal aber nur zehn Minuten, der Pullover ist durch den Fahrtwind schnell wieder trocken. Ein Wohnmobil aus Braunschweig gibt mir Lichthupe und winkt, auch Magdeburg und Leipzig fahren an mir vorbei. Beim Putzen meiner Brille während der Fahrt fällt mir diese herunter und verschwindet bei 20 km/h im Hinterrad. Schock. Doch alles ist heile, Schwein gehabt.

Auf dem kleinen Campingplatz in Blattnicksele eine kleine Überraschung: Nachdem der Herr an der Rezeption anhand meiner CampingCard sieht, dass ich aus Deutschland bin, fängt er an deutsch zu reden und erzählt mir, dass er aus Stade sei und nun Betreiber dieses Campingplatzes, seine Frau ist gerade aus Deutschland zu Besuch. Er meint, auf dem Weg zum Nordkap hätte ich die schlimmsten Berge hinter mir (obwohl es ja bisher entspannt zuging), doch er irrt sich, wie sich im weiteren Verlauf herausstellen wird.

Der Platz ist wunderschön und liegt wie bisher fast immer an einem See. So wie ich es besonders mag, fängt es nach dem Zeltaufbau an zu regnen. Der Weg zur Dusche klappt schon noch...


Tag 8  Blattnicksele - Arvidsjaur

Der Tag beginnt zunächst bedeckt, aber ohne Regen. Die Strecke wird etwas eintöniger und eine fünf Kilometer lange Baustelle, die noch dazu auf einem bergigen Abschnitt liegt, dämpft ein bisschen die Stimmung. Trotz zwei Stunden Nieselregens erreiche ich den Campingplatz in Arvidsjaur alles in allem aber sehr zufrieden. Auf der Fahrt kommen mir einige Autos aus der Heimat entgegen (Gotha, Jena, Schönebeck), jedes Mal freue ich mich darüber, denn für einen Augenblick scheint die Heimat zum Greifen nah.

Da es abends meist schnell kalt wird und man keine wirklichen Alternativen hat, liege ich fast immer, so wie heute, um acht im Schlafsack.


Tag 9  Arvidsjaur - Vidsel

Beim morgendlichen Check-out auf dem Campingplatz in Arvidsjaur fragt die Dame an der Rezeption nach der geplanten Strecke meiner heutigen Tagesetappe und rät mir, nicht weiter auf der E45 über Moskosel zu fahren, da dort eine 40 Kilometer lange Baustelle ist. Sie erzählt von zahlreichen kaputten Autos und Reifen und so entschließe ich mich, dem Tipp der Dame zu folgen und die 94 ostwärts zu fahren, um dann am nächsten Tag wieder auf die E45 zu gelangen, natürlich hinter der Baustelle. Zwar entsteht mir dadurch ein Umweg von 50 Kilometern, aber wie sich zeigen wird, ist dies die wohl beste Entscheidung der gesamten Tour.

Auf der 94 nach Vistträsk habe ich bei malerischer Umgebung die ganze Zeit Rückenwind, die ersten 77 Kilometer des regenfreien Tages fahre ich einen Schnitt von 27,1 km/h. Traumhaft.

Auf den bisherigen Etappen und besonders heute fällt auf, dass die Schweden auf absolut perfekt gemähten und gepflegten Rasen abfahren. Auf annähernd allen Grundstücken sieht das Gras wie in englischen Gärten aus, wo dies nicht der Fall ist, so meine wochenlang entwickelte Theorie, müssen die Besitzer entweder verreist oder vom Bus überfahren worden sein. Ebenso auffällig ist die Tatsache, dass des Öfteren polnische Autos am Straßenrand geparkt sind, deren Besitzer in den Wäldern irgendetwas zu ernten scheinen.

Am frühen Nachmittag erreiche ich den Campingplatz in Vidsel an den Storforsen Stromschnellen, den größten in Skandinavien. Bei einer Fallhöhe von 60 Metern wälzen sich hier durchschnittlich 250 m³ Wasser pro Sekunde talwärts, ein gigantischer Anblick.


Tag 10  Vidsel - Jokkmokk

Der Tag beginnt mit feinstem Nieselregen, aber es rollt ähnlich gut wie gestern. Bei Sonnenschein überquere ich am Nachmittag den Polarkreis, die südlichste geographische Breite, an der zur Sommersonnenwende die Mitternachtssonne zu sehen ist.

Nach dem Einkauf in Jokkmokk und weiteren 30 Kilometern entscheide ich mich in Ermangelung an Wasser, an einem Stausee zu übernachten. An einer blickgeschützten Stelle in Straßennähe baue ich auf und „gehe baden“, denn durch meine Füße wird im Stausee ziemlich viel Matsch aufgewirbelt. Mehr belustigt als pikiert filtere ich mir meine Flaschen voll Wasser und koche Nudeln. Um 18 Uhr beginnt es zu regnen.


Tag 11  Jokkmokk - Piilijärvi

Nach dem Abbau im leichten Regen, der seit dem Abend andauert, brennen mir die Augen auf den ersten Kilometern wie verrückt. Gegen Mittag klart der Himmel dann aber auf und die Etappe wird insgesamt recht angenehm.

Später kommt mir ein älterer schwedischer Herr mit Gepäck entgegen, der beim Fahren Hörbüchern lauscht. Auf meine Frage, wo er denn in der Regel übernachtet, erklärt er mir, dass es für ihn sicherer sei, auf Campingplätzen oder in Miethütten zu schlafen, da er einen Herzschrittmacher besitzt. Wir unterhalten uns noch zehn Minuten über die Strecken, dabei meint er, dass auf dem Weg zum Nordkap noch Stellen kämen, die „very hard“ seien.

Hinter Gällivare geht es dann wieder optimal voran, aber es beginnt erneut zu regnen. Der Himmel ist dennoch weitgehend blau und so entscheide ich mich gegen Regenklamotten, stelle dann aber fest, dass ich die Gamaschen doch hätte anziehen sollen.

Mit sacknassen Botten komme ich am Campingplatz in Piilijärvi am gleichnamigen See an. Dieser ist zwar an der Straße als solcher ausgeschildert, jedoch bereits geschlossen. Ich schleiche eine Runde um das Servicegebäude, doch es kommt keiner. Da es hier nicht nur wunderschön, sondern auch totenstill ist, baue ich trotzdem mein Zelt auf. Inzwischen zeigt sich auch wieder die Sonne, und so kann ich meine nass gewordenen Sachen trocknen lassen und mich im See wälzen.

Pünktlich zum Reis mit Uncle-Bens-Currysoße fängt es wieder an zu regnen.


Tag 12  Piilijärvi - Karesuando

Am Morgen sehe ich dann doch noch eine Menschenseele, ein älterer Herr kommt und teilt mir mit, dass die Toiletten und die Dusche aufgeschlossen seien. Nachdem das Gepäck verstaut ist starte ich auf eine der längsten Etappen der Tour (152 km), der Himmel verspricht einen sonnigen Tag. Zum Mittag sind die ersten 1000 Kilometer voll, doch leider genau am Tiefpunkt des Tages, einer zehn Kilometer langen Baustelle. Auf Geröll geht es ständig bergauf und bergab, die wenigen Autofahrer möbeln sehr zügig an mir vorbei.

Noch vor der Baustelle treffe ich auf einen weiteren schwedischen Radfahrer mittleren Alters, der auf einer Schweden-Tour unterwegs ist. Er erzählt mir, vom nördlichsten Punkt Schwedens zum südlichsten, dann zum östlichsten, westlichsten, tiefsten und höchsten Punkt zu fahren, dass er seit fünf Wochen unterwegs ist und schon über 3000 Kilometer auf der Uhr hat und zwischendurch auch immer mal mit dem Kajak unterwegs ist. Seine erste Frage, ob ich aus Deutschland käme, beantworte ich erstaunt und er erklärt mir, dass bisher alle die er getroffen habe, aus Deutschland kamen, der letzte Typ aus Dortmund.

Später kommen mir wieder heimatliche Kennzeichen aus Dessau und Merseburg entgegen und nach der Ankunft auf dem hübschen Privatcampingplatz in Karesuando, unmittelbar an der Grenze zu Finnland, baue ich mein Zelt direkt neben dem Haus auf, dessen Besitzer, ein recht alter Herr, mir noch einen Stuhl, einen Tisch und eine Kochplatte samt Verlängerungsschnur herbeiträgt, total niedlich. Nach dem Einkauf freue ich mich mal wieder auf eine warme Dusche. Es sind die scheinbaren Kleinigkeiten des Lebens, die man im Alltag immer zur Verfügung hat...


Tag 13  Karesuando - Kautokeino

Ich werde vom lieblichen Gesang zweier irischer Harley-Davidson geweckt, die in einer Hütte nahe meines Zeltes gestern Abend noch eingecheckt haben müssen. Doch die Sonne scheint und alles ist super. Nach dem Packen meines Rades stellt mir der liebe Campingplatz-Opa noch eine Tasse Kaffee und einen Teller mit selbstgebackenen Plätzchen hin, die ich in der Morgensonne genieße. Dann geht’s los und bei strahlend blauem Himmel bin ich einen Kilometer später in einer anderen Zeitzone – in Finnland (osteuropäische Zeit).

Nach der langen Etappe gestern hatte ich mir vorgenommen, heute etwas weniger zu fahren, da ich aber durch Rücken- und Seitenwind schon kurz vor drei vor dem einzigen Campingplatz weit und breit stehe, entscheide ich mich spontan, doch noch ein Stück zu fahren und überquere an diesem Tag zum zweiten Mal eine Grenze, die von Finnland zu Norwegen, und bin somit wieder in der Zeitzone, in der ich heute morgen aufgewacht bin.

Da sich kein geeigneter Platz zum Wildcampen findet (meistens zu sumpfig) und ich schon wieder 140 Kilometer an diesem Tag gefahren bin, übernachte ich auf einem Campingplatz nahe Kautokeino, der sich leider als ziemlich teuer entpuppt. Der Tag geht mit den obligatorischen Nudeln, Studentenfutter, Fotos am Strand und vielen winzigen Fliegen zu Ende. Zum Glück ist dies ist der einzige Abend der ganzen Reise, an dem ich mich mit Viehzeug herumschlagen muss.


Tag 14  Kautokeino - Alta

In Kautokeino scheint an diesem Sonntagmorgen die Weltmeisterschaft im Jetskifahren stattzufinden, die auf riesigen Anhängern zahlreich anreisen. Die Straße 93 nach Alta ist sehr anspruchsvoll. Phänomenal schöne, absolut beeindruckende Landschaft, aber das nächste Mal vielleicht ohne Gepäck oder mit dem Rennrad...

Kurz vor dem Ziel geht es zwölf Kilometer mit 8% Gefälle rasant bergab, sodass alles, was sich meinem 50 Kilo-Rad in den Weg gestellt hätte, eliminiert worden wäre. Auf dem Campingplatz in Alta verhandel ich das erste Mal über den Preis, und siehe da, es funktioniert. Warum ich nicht früher darauf gekommen bin...


Tag 15  Alta - Olderfjord

Was für ein Wahnsinns-Tag! Bisher der wohl beste Fahrrad-Tag meines Lebens! Ich verlasse den Campingplatz in Alta und nach einer knappen halben Stunde Fahrt geht es mit 9% Steigung von Meereshöhe auf 250 Meter über NN, nach einigen Kilometern horizontaler Strecke wieder bergab auf 190 Meter und schließlich wieder auf 300 Meter hoch.

Dann aber baut sich ein Panorama auf, was ich mir nie erträumt hätte. 40 Kilometer cruise ich bei strahlend blauem Himmel durch eine unglaublich beeindruckende Landschaft. Und Rentiere ohne Ende. Ich fahre an zwei bepackten Radlern in meinem Alter vorbei, die gerade Mittag machen, da sie jedoch abseits der Straße unter einem Abhang sitzen, fahre ich weiter. Einige Autos hupen und winken mir zu.

In Olderfjord bin ich am Abend wieder auf Meereshöhe und gespannt, wie bergig es morgen auf der lang ersehnten Etappe zum Nordkap wird. Und meine größte Hoffnung ist es natürlich, auf dieser Fahrt genau dasselbe Wetter zu haben wie heute.

Beim Wasserholen unterhalte ich mich mit einem holländischen Pärchen mit einem Tandem, das neben mir aufgebaut hat. Sie erzählen, dass sie zu Hause gestartet und schon über 3000 Kilometer gefahren sind.

Später beim Aufwaschen treffe ich noch Rico und Gregor aus Berlin. Rico ist in Oslo gestartet und hat sich mit Gregor in Gällivare getroffen, der vorher noch wandern war, ab Östersund sind die beiden fast dieselbe Strecke wie ich gefahren. Rico erzählt, dass er die 40 Kilometer lange Baustelle zwischen Arvidsjaur und Jokkmokk, die ich glücklicherweise umfahren habe, gefahren ist und es ihm dabei seinen Reifen komplett zerledert hat (Schwalbe Marathon Supreme, 35 Euro das Stück), er hat das Beweisstück sogar hinten auf sein Gepäck geschnallt und nicht weggeworfen. Ich denke an die Dame an der Campingplatz-Rezeption und bin im Nachhinein sehr glücklich, ihren Rat befolgt zu haben. Gregor plagen seit einigen Tagen Magen-Darm-Probleme, weswegen die beiden noch eine zusätzliche Nacht hier verbringen. Wir quatschen noch eine Stunde vor dem Sanitärgebäude und beschließen, die morgige Etappe zum Nordkap zusammen anzutreten.


Tag 16  Olderfjord - Nordkap

Der Tag startet kurz nach halb zehn mit den beiden Jungs auf dem Rad. Meine Kamera, die seit einigen Tagen spinnt, gibt nach zwei Stunden endgültig den Geist auf. Gerade jetzt - war ja klar. Ständig laufen oder stehen Rentiere auf der Straße, Angst vor Autos scheinen diese nicht zu haben. Ein Bus fährt relativ schnell auf einige Tiere zu, diese bewegen sich erst Richtung Abhang, nachdem der Bus wenige Meter vor ihnen angehalten ist.

Kurz vor Mittag holen wir einen 25jährigen Norweger ein, der ebenfalls mit Gepäck fährt. Sein Name ist Morten und er wohnt in Bergen, von uns wird er fortan nur „der Norweger“ genannt, da wir seinen Namen noch nicht kennen. Er erzählt, dass er vor 111 Tagen mit seinem Kajak gestartet ist, sich jedoch aufgrund seiner Schulterprobleme eine Alternative suchen musste. Da Wandern wegen des Rucksacks auch nicht in Frage kam, beschloss er mit dem Rad bis zu seinem Ziel, dem Nordkap, zu fahren.

Von hier an fahren wir also zu viert weiter, verstehen uns wirklich prima und unterhalten uns über alles Mögliche. Beim Mittag erklärt Morten uns, dass man einen Samen niemals fragen solle, wie viele Rentiere er besitzt, denn das wäre wie wenn er fragen würde, wie viel Geld man auf dem Konto habe.

Nach einigen kürzeren Tunneln erreichen wir schließlich den Nordkap-Tunnel. Dieser verbindet das Festland mit der Insel Magerøya, ist 6,8 Kilometer lang und an seiner tiefsten Stelle 212 Meter unter dem Meeresspiegel. Da es keine Alternative gibt, ist er für jeglichen Verkehr, auch Fahrräder, freigegeben. Vor dem Tunnel machen wir noch eine Pause, nehmen einige Kohlenhydrate zu uns und füllen unsere Flaschen, um auf der anderen Seite des Tunnels wieder gesund herauszukommen. Da es im Tunnel sehr kalt ist, ziehen wir unsere Jacken an. Danach starten wir in Abständen von einer Minute einzeln in den Tunnel. Zunächst geht es mehrere Minuten mit 9% Gefälle bergab, ein Blick auf den Tacho unter einer der Lampen zeigt über 55 km/h. Unten angekommen geht es zwei Kilometer gerade, um dann mit derselben Steigung wieder nach oben zu gelangen. Die Auffahrt ist irre lang und die Jacke inzwischen wieder auf dem Gepäck, doch das donnernde Geräusch der Ventilatoren treibt einen voran. Beim ersten Ventilator denkt man, dass sich von hinten ein LKW oder Bus nähert, dann wird das Geräusch jedoch leiser und man wundert sich, wo der LKW geblieben ist und stellt fest, dass das Geräusch eine andere Ursache hat.

Nach 28 Minuten erreiche ich schließlich wieder das Tageslicht, wo wir uns, nachdem wir vollzählig sind, gratulieren. Die Mautstation hinter dem Tunnel, bei der man für dessen Benutzung bezahlt, dürfen wir als Fahrradfahrer gratis passieren, mit dem PKW oder Wohnmobil ist dies richtig teuer. Etwas später folgt noch ein circa vier Kilometer langer Tunnel, den wir wieder im Pulk fahren, denn dieser ist nicht mehr so haarsträubend.

Insgesamt ist die Strecke auf der E69 zum Nordkap sehr hart, besonders je näher wir dem Ziel kommen. Ständig geht es lang und steil bergauf, dann wieder talwärts und dann wieder berghoch. Aber ein Panorama wie man es sich nicht vorzustellen vermag lässt dies alles völlig in den Hintergrund treten. Bei wolkenlosem Himmel, wie ich ihn mir erhofft habe, fahren wir gemeinsam die anspruchsvollste, aber schönste Strecke unseres Lebens.

Irgendwann am Nachmittag erreichen wir Honningsvåg, die letzte Stadt vor dem Nordkap. Ohne zu halten fahren wir daran vorbei, denn es sind „nur“ noch 33 Kilometer von hier.

Sieben Kilometer vor dem Ziel lassen wir den Norweger zurück, denn er will das Endziel seiner 111-tägigen Tour so erreichen, wie er sie begonnen hat – allein. Wenig später hält auch Gregor an, um auf Rico zu warten, der sich zuvor zurückfallen ließ. Wir vereinbaren, uns an der Weltkugel wiederzusehen und so nehme ich die letzten paar wirklich zehrenden Kilometer allein in Angriff und erreiche schließlich halb acht nach über 1600 Kilometern das Nordkap. Der Eintritt von 200 Kronen (= 25 Euro) bleibt einem erspart, an der Bezahlstation bekommt man mit warmen Worten erklärt, dass alle Radfahrer mit Gepäck freien Eintritt haben. An der Weltkugel auf dem Schieferplateau ist es gerade menschenleer, und so genieße ich bei stärkstem Wind den Blick auf die Weltkugel, das Meer und die Abendsonne und lasse meinen Gedanken freien Lauf. Ein traumhaftes Gefühl. 15 Minuten später treffen auch Rico und Gregor ein. Wieder gratulieren wir uns, machen Fotos und wuchten sogar noch die Bikes die fünf Stufen zur Weltkugel hoch.

Später kommt dann auch noch der Norweger an und die Gratulationen beginnen von Neuem. Da es nicht nur stürmisch ist sondern auch sehr kalt, gehen wir in das nahe Informationszentrum, hinter dessen Glasscheibe wir uns aufwärmen und uns weiterhin am Blick zur Weltkugel erfreuen. Wir machen Abendbrot, ich telefoniere kurz in meinen 2381 Kilometer Luftlinie entfernten Heimatort und Morten gönnt sich im Restaurant zum Ende seiner Reise das Buffet.

Um neun werden noch einmal einige Busladungen auf dem Parkplatz ausgekippt und innerhalb weniger Minuten ist es an der Weltkugel rammelvoll. Wieder einmal richtig Glück gehabt.

Kurz nach zehn fahren wir ein paar hundert Meter talabwärts, dabei reißt Rico der Schaltzug. Hinter der ersten Kuppe bauen wir unser Zelt auf, hier ist es wesentlich weniger windig. Später findet uns auch der Norweger und baut seine Behausung neben uns auf. Durch unser pfiffiges Plätzchen ist es die ganze Nacht relativ windstill, dunkel wird es nicht.


Tag 17  Nordkap - Alta (Bus)

Der Morgen beginnt schon wieder mit bestem Wetter. Wir frühstücken, bauen ab und fahren nach Honningsvåg. Von dort wollen der Norweger und ich den Bus zurück nach Alta nehmen, die beiden Berliner Jungs wollen die ganze Strecke inklusive Nordkaptunnel mit dem Rad zurück fahren, ihr Endziel in zehn Tagen ist Narvik. Auf dem Weg reißt, wie ich es schon vorausgesehen habe, auch mein Schaltzug. Wir fahren an einem Camp der Samen vorbei, das genau an der Straße liegt, hundert Meter davon entfernt steht ein Luxushotel.

Beim Auffüllen unserer Flaschen auf einem Campingplatz kurz vor Honningsvåg laufen uns zwei weitere Radler über den Weg, Thomas aus Schwerin und Etienne aus Frankreich. Auch sie haben sich vor einigen Tagen getroffen und sind gestern zusammen zum Nordkap gefahren. Nach fast einer Stunde Unterhaltung, Postkartenkaufen und zweitem Frühstück bzw. frühem Mittag verabschieden wir uns von Rico und Gregor und fahren, trotzdem wieder zu viert, die wenigen Kilometer nach Honningsvåg und nehmen den einzigen Bus des Tages nach Alta, genießen die vierstündige Rückfahrt dieser fantastischen Strecke und unterhalten uns noch lang. Morten und Thomas berichten unabhängig voneinander, eine Australierin getroffen zu haben, die in Helsinki startete, mit dem Rad zum Nordkap fährt, um von dort nach Barcelona zu fahren. Respekt.

Im Nordkaptunnel überholen wir Rico und Gregor, die sich gerade wieder auf Meereshöhe arbeiten. Etienne holt im Bus seine Karte heraus und schaut, wo er als nächstes hinfährt. Da er etwas weniger Berge in den nächsten Wochen sehen will, beschließt er in Olderfjord auszusteigen, um am nächsten Tag Richtung Finnland zu fahren. Das nenne ich spontan. Thomas fragt mich, ob ich schon mal Rentierfleisch probiert hätte und erzählt, er habe bei den Samen für 50 Kronen (= 7 Euro) eine Tüte davon gekauft. Er kramt sie aus der Tasche, es ist noch etwas übrig. Ich koste, es schmeckt sehr gewöhnungsbedürftig, aber nicht schlecht.

Kurz vor Olderfjord muss der Bus scharf bremsen, da circa 50 Rentiere auf der Straße rumstehen und nicht wirklich Lust haben, wegzugehen.

Nach viereinhalb Stunden Fahrt erreichen wir den Airport in Alta, wo Thomas und Morten die nächste Maschine nach Oslo nehmen, Morten nach fast vier Monaten seine Freundin wiedersieht und Thomas weiter nach Hamburg fliegen will. Wir verabschieden uns und tauschen Emailadressen und Websites aus, um später einige Fotos zu schicken.

Wieder auf dem Campingplatz in Alta gehe ich mit meinem Topf in die Campingplatz-Küche, um mir lecker Schmaus zu zaubern. Dort sitzt ein Berliner Pärchen, das mit dem Wohnmobil unterwegs ist. Kurz zuvor haben sie Dorsch geangelt, da die beiden aber viel zu viel gefangen haben bieten sie mir an, mit zu essen. Mit frischem Brot und Dillmayonnaise darf ich mich sattessen, es schmeckt köstlich!


Tag 18  Alta

Ruhetag. Ich bleibe in Alta, repariere meinen Schaltzug, kaufe mir Varta-Batterien für meine Kamera und siehe da – sie funktioniert wieder.


Tag 19  Alta - Badderfjord

Den ganzen Tag Regen, mal mehr, mal weniger. Die E6 ab Alta südwärts ist etwas eintönig, was wahrscheinlich am Wetter und der Szenerie der vergangenen Tage liegt. Ein paar kleine Hubbel (50 bis 100 Meter hoch) und ein 300 Meter hoher Berg – nichts tragisches.


Tag 20  Badderfjord - Lyngseidet

14 Kilometer nach dem Start vom Campingplatz am Badderfjord bemerke ich, dass ich den Schlüssel für mein Fahrradschloss (+ Haustürschlüssel für Zuhause) auf dem Campingplatz ins Gras geschmissen, ihn aber nicht wieder eingesteckt habe. Leicht fluchend, da ich schon einige Hügel erklommen habe, überlege ich, wie ich am sinnvollsten wieder zurück komme. Mit dem Gepäck zurück fahren? Absolut nicht. Das Gepäck in den Wald stellen und ohne dieses zurück fahren? Auch nicht wirklich überzeugend. Ich entscheide mich fürs Trampen, stelle mein Fahrrad in ein Gebüsch und warte auf der Straße, dass ein Auto kommt.

Nach 20 Minuten höre ich einen herannahenden LKW. Es ist ein gelber norwegischer Gülle-Pumper, ich halte meinen Daumen hoch und versuche zu signalisieren, mitfahren zu wollen. Doch in Norwegen scheint man dieses Handzeichen nicht zu kennen, und so fahren drei strahlend fröhliche norwegische Herren im Blaumann, alle den Daumen nach oben haltend, an mir vorbei. Einige Minuten später kommt ein weiterer Laster, dieser legt auf der kurvigen und steilen Straße eine scharfe Bremsung hin und hält in der nahen Haltebucht. In der Eile übersehe ich das deutsche Nummernschild, steige ein und erkläre erstmal auf Englisch mein Anliegen. Nachdem wir unsere Herkunft erläutert haben, beschließen wir weiter auf deutsch zu kommunizieren. Während der Fahrt erzählt mein Chauffeur, dass er Mischwaren umherfährt, einen dänischen Auflieger hinter sich herzieht und 190.000 Kilometer im Jahr zurücklegt.

Am Campingplatz hält er und bietet mir sogar an, mich (ohne Trailer) wieder zurückzufahren, doch ich lehne dankend ab. Nachdem mein Schlüssel wieder in meiner Jackentasche verstaut ist stehe ich wieder an der Straße, fünf Minuten später sitze ich in einem norwegischen Audi 100 Baujahr 1804 (oder so), deren Besitzer, ein älteres Pärchen, zur zwei Kilometer entfernten Butikk wollen. Norweger sind, wie ich schon öfter feststellen durfte, total lieb, und so fahren mich die beiden die 14 Kilometer zu meinem Fahrrad. Wirklich anständig.

Auf der weiteren Strecke erklimme ich noch einen 400er und einen 250er Berg, ansonsten ist es nur wie gewohnt wellig. Immer wieder sehe ich entlang der Strecke die Verkaufsstände der Samen, doch irgendwie habe ich mir ihre Lebensweise anders vorgestellt. Statt, wie ich es immer dachte, mit maroden Zelten und altertümlichen Transportmitteln leben die Samen in anständigen Wohnwagen und fahren teilweise nagelneue deutsche Luxuslimousinen. Nur die Verkaufsstände sind in jenen maroden Zelten untergebracht. Nicht das ihnen dieser Lebensstandard nicht gegönnt sei, wird bei mir aber manchmal der Eindruck erweckt, dass dieses Volk im Norden Skandinaviens, welches in ihren Camps auch manchmal mitten in Städten wohnt, weniger aus Tradition als aus Lukrativität seine Lebensweise beibehält.

Der bewölkte, aber regenlose Tag geht mit der Fährfahrt von Olderdalen nach Lyngseidet zu Ende. Auf einer frisch gemähten Wiese baue ich meine Suite auf, gehe in einem Bach baden und Wasser holen und koche mir, wie immer, mein Dinner.

 

Tag 21  Lyngseidet - Nordkjosbotn - Finnsnes

Durch die Fährfahrt gestern Abend spare ich mir heute etwa 50 Kilometer Umweg auf der E6. An diesem Sonntagmorgen bin ich zunächst zwei Stunden auf der Straße 868 unterwegs. Während dieser Zeit überholen mich nur wenige Autos, es ist herrlich ruhig. Die kleinen Ortschaften am Storfjord sind so idyllisch, dass man am liebsten sofort dort hinziehen mag. Hinter einem drei Kilometer langen Tunnel fällt mir auf, dass es auch einen Radweg neben dem Tunnel gegeben hätte.

Zurück auf der E6 geht es wider Erwarten lange Zeit bergab, am Nachmittag bin ich jedoch froh, nach etwas eintönigerem Streckenverlauf und zunehmendem Verkehr endgültig die E6 hinter mir zu lassen und auf die zweitgrößte Insel Norwegens – Senja – zu gelangen. Mehrere Radler haben mir den Tipp gegeben, hier bis nach Gryllefjord zu fahren, um dort die Fähre nach Andenes auf den Vesterålen zu nehmen, denn auf dieser Fährfahrt soll man mit etwas Glück Wale beobachten können. Da ich nicht weiß, wann bzw. wie oft diese Fähre verkehrt, rufe ich zu Hause an, um mir die passenden Infos aus dem Internet geben zu lassen (Danke Mutti!). Dann die Pleite: Das letzte Schiff des Jahres fährt genau heute um 19 Uhr. Es ist 17 Uhr und ich habe noch 80 Kilometer vor mir, könnte knapp werden. Während ich mich ärgere frage ich eine junge Frau nach Alternativen. Sie sagt, ich könne mit einem Schiff der Hurtigruten von Finnsnes nach Risøyhamn, ebenfalls auf den Vesterålen, fahren. Das Problem jedoch ist, dass das Schiff nachts halb fünf dort anlegt. Ich fahre die wenigen Kilometer nach Finnsnes, auf dem Weg dorthin entdecke ich keinen vernünftigen Platz zum Pennen, auch Campingplätze gibt es keine.

In Finnsnes angekommen erspähe ich einen Bus, der gerade noch nach Gryllefjord abfahren will, der Fahrer sagt mir jedoch, dass er erst drei Minuten vor Abfahrt der Fähre dort ankommen wird. Natürlich entscheide ich mich dagegen, also doch das Hurtigruten-„Postschiff“. Im Hafen von Finnsnes koche ich mir vor dem „Traffiksenter“ Nudeln und hoffe, im selbigen auf den bequem aussehenden Polsterhockern etwas schlafen zu können.

Um acht schiebe ich mir einige davon in einer Ecke zusammen und stelle noch ein paar Stühle davor, um vor neugierigen (oder mitleidigen) Blicken etwas geschützt zu sein. Noch ist die Wartehalle menschenleer.

Kurz vor 21 Uhr jedoch wird die Halle von jetzt auf gleich rammelvoll, denn es legt noch ein Schnellboot nach Harstad an, kurz darauf ist wieder Stille. Ich döse so vor mich hin, die Eiswürfelmaschine an der Bar neben mir macht auch sonntags Eiswürfel.

Nach einiger Zeit beginne ich zu frieren und hole mir meinen Pullover vom Fahrrad, das in der Nähe an der Wand lehnt. Dabei löse ich den Alarm aus und meine Vermutung, dass das Wartezentrum möglicherweise schon geschlossen sein könnte, verhärtet sich. Fünf Minuten später legt sich der Alarm und irgendwann schlafe ich tatsächlich (mehr oder weniger) ein. Im Halbschlaf höre ich immer wieder Schritte, die die Halle abzusuchen scheinen. Vielleicht ein Wachmann. Egal.

 

Tag 22  Finnsnes - Vesterålen

Um eins werde ich dann durch eine Taschenlampe geweckt, die direkt in mein Gesicht scheint. Und tatsächlich: ein Wachmann der Sicherheitsfirma, die für dieses Traffiksenter zuständig ist, steht vor mir und fragt mich was ich mache, woraufhin er nach meiner Antwort erklärt, dass diese Halle von 22 bis sieben Uhr geschlossen ist. Da die Norweger nie irgendwo irgendetwas ausschildern und zum Beispiel auch an Bushaltestellen keine Fahrpläne hängen oder eben in Traffiksentern keine Öffnungszeiten, weiß ich davon nichts. Er bittet mich, das Gebäude zu verlassen. Während ich ihm auf seinem Protokoll ein Autogramm gebe schlägt er vor, dass ich zur nächsten Tankstelle gehen oder in den zahlreichen nahen Hotels fragen könne, mich in die Lobby setzen zu dürfen. Da der Himmel wolkenlos zu sein scheint ziehe ich es jedoch vor, mich draußen im Hafen auf der Luftmatratze noch ein bisschen im Schlafsack einzumummeln. Obwohl es hundekalt ist, ist es irre gemütlich.

Viertel fünf legt dann endlich die MS Trollfjord an, im obersten Deck lege ich mich nach dem Einchecken in den warmen und sehr kuschligen Salon, wo schon zwei andere Typen pennen.

Nach der sechsstündigen Fahrt mit Zwischenstopp in Harstad und einem wunderbaren Sonnenaufgang erreicht das Schiff um elf Uhr den Hafen von Risøyhamn auf den Vesterålen. Obwohl der Himmel blau und die Windrichtung optimal ist, habe ich nach der etwas bescheuerten letzten Nacht nach 75 Kilometern keine Lust mehr und baue mein Zelt auf einer Schafweide auf, die vier anwesenden Schafe scheine ich nicht zu stören.

 

Tag 23  Vesterålen - Lofoten

Ich werde geweckt weil es zu warm ist, öffne alle „Türen“ und schlafe noch eine Stunde. Den ganzen Tag gibt es wieder bestes Wetter. Bereits vor dem Mittag erreiche ich Melbu und habe Glück, schon eine halbe Stunde später die Fähre nach Fiskebøl auf den Lofoten nehmen zu können.

Dort angekommen geht mir nach einer intensiven Brotzeit beim Wasserholen der Deckel meiner geliebten Schwalbe-Flasche den Bach runter. Kurz vor „Feierabend“ fährt sich mein Rad plötzlich etwas schwammig – juhu, ein schleichender Plattfuß. Nicht nur der erste dieser Tour, sondern mit diesem Satz Reifen der erste überhaupt, was nach über 8000 Kilometern aber recht akzeptabel ist. Eine riesige Tackernadel steckt im Reifen, der Schlauch ist jedoch schnell geflickt.

Nach dem kalten Bad im See und dem Essen beginnt es, während ich schon im Zelt liege, zu regnen.

 

Tag 24  Lofoten - Bodø

Es regnet nicht mehr. Bis zur einzigen am Tag fahrenden Fähre um 14 Uhr nach Bodø sind es noch 80 Kilometer, weshalb ich mich etwas zeitiger wecke. Die zahlreichen Berge mit denen ich auf den Lofoten gerechnet habe bleiben aus, nur einige kleinere Hügel stehen im Weg, auch der geflickte Schlauch hält trotz des Gepäcks die Luft.

Am Anleger in Moskenes stehen noch weitere sechs bepackte Radler, die auf die Fähre warten, außerdem einige Rucksack-Touristen in meinem Alter. Das Boot ist bisher das schnellste, mit 16 Knoten (30 km/h) geht es spürbar schaukelnd Richtung Festland. Die dreistündige Fahrt verbringe ich an Deck, lediglich 15 Minuten sitze ich drin im Salon, doch das flaue Gefühl im Bauch schickt mich schnell wieder nach draußen.

In Bodø lass ich mich auf den städtischen Campingplatz navigieren, um mal wieder warm zu duschen. Nach diesem seltenen Erlebnis läuft mir ein Herr mittleren Alters aus München, der am Ende seiner Tour steht und auf seinen Flieger nach Deutschland wartet, über den Weg. Nach langer Unterhaltung komme ich während des Essenkochens auch mit zwei Franzosen aus dem Elsass ins Gespräch, von denen einer gehandicapt ist und einen Sport-Rollstuhl mit Handpedalen fährt (von Mavic!). Die beiden sind am Nordkap gestartet und hier am Ende ihrer Reise. Ich staune nicht schlecht über die 60 Kilometer pro Tag, die er mit einem Schnitt von 15 km/h bewältigt hat. Hut ab!

In der Campingplatz-Küche entdecke ich auf einem Tischchen zahlreiche Gaskartuschen, die man zurückgelassen musste, da diese im Fluggepäck verboten sind, doch mein Gas-Vorrat ist noch lang gedeckt.

 

Tag 25  Bodø

Die Nacht war höllisch laut, da auf dem vier Kilometer entfernten Flughafen nicht selten neben den Linienflugzeugen auch Düsenflieger starteten. Es nieselt seit dem Abend und bei einem Schwätzchen mit dem Münchner entscheide ich spontan, das dieses Wetter perfekt wäre, mein Zelt noch einen Tag stehen zu lassen. Außerdem will ich aufgrund der unangenehmen Umstände bei meiner Anreise zum Airport fahren und herausfinden, wie teuer die Heimreise ab Trondheim mit dem Flugzeug ist. Gesagt, getan, der Preis ist akzeptabel und ich Besitzer eines Flugtickets.

Mit dem Münchner esse ich in der Campingplatzküche gemeinsam zu Abend und verabschiede mich von ihm, sein Flug am nächsten Morgen geht bereits um sieben Uhr.

Während ich versuche einzuschlafen, versucht der Fahrer eines Wohnmobils etwa 20 Minuten neben meinem Zelt einzuparken. Kurz davor ihm den Zündschlüssel wegzunehmen oder mit Fäkalien zu werfen findet er dann aber doch seine optimale Position. Dafür ist meine zusätzliche Nacht jedoch gratis, denn die Rezeption habe ich nicht davon in Kenntnis gesetzt.

 

Tag 26  Bodø - Örnes

Nach dem Start in Bodø geht es ein paar Kilometer auf der 80 bis ich auf die Rv17 gelange, die entlang der Atlantikküste gen Süden führt und die ich nun bis zum Schluss meiner Tour fahren werde. Der Verlauf ist sehr idyllisch und verkehrsarm. Auf dem Weg kommt mir ein autoähnliches Gefährt entgegen, als dieses näher kommt sehe ich jedoch, dass der „Fahrer“ ebenfalls in die Pedale tritt! Er gibt mir Lichthupe und hupt mehrmals, bevor ein Laster an ihm vorbeizieht.

Nach einer Stunde Nieselregen am Nachmittag, einem 3,1 Kilometer langen Tunnel und einigen kürzeren baue ich mein Zelt an meinem Privatstrand auf und gehe auf dem nicht weit entfernten Campingplatz (kalt) duschen und Wasser holen.

 

Tag 27  Örnes - Kilboghamn

Auf dem Weg nach Ørnes bestätigt sich meine Vermutung, dass die Durchfahrt des 7,6 Kilometer langen Svartisentunnels für Fahrräder verboten ist. Die einzige Umgehung ist eine Fähre von Ørnes nach Vassdalsvik oder der Bus. In Ørnes angekommen werfe ich einen Blick auf den Fahrplan der Fähre – natürlich hat sie vor 45 Minuten abgelegt und fährt an diesem Samstag erst wieder in fünf Stunden, auch der Bus fährt heute erst am späten Nachmittag die Strecke. Ich entscheide mich, erst einmal Richtung Tunnel zu fahren, da ich keine Lust habe, den ganzen Tag hier zu warten.

Nach zwei kleineren Tunneln (1,9 und 2,2 Kilometer) stehe ich schließlich vorm Svartisentunnel, das Hinweisschild über mögliches „Gass i tunnel“ gefällt mir gar nicht. Während des Überlegens mache ich Mittag und entschließe mich, da heute kaum Verkehr ist, es zu riskieren. Leicht bergab fahre ich auf der gesamten Durchfahrt um die 30 km/h und die Luft im Tunnel ist wie in jedem anderen auch.

Einige Kilometer später fahre ich am Namensgeber des Tunnels, dem imposanten Svartisen-Gletscher vorbei, der mit 370 km² der zweitgrößte Gletscher Norwegens ist. Das phänomenale Bild des Gletschers und des darunterliegenden Sees Svartisvatn ist wirklich einmalig und so komme ich kaum aus dem Staunen.

Nach einer kurzen Fährfahrt folgen noch ein 3,2 Kilometer langer Tunnel und ein Mini-Tunnel, sodass ich an diesem Tag über 15 Kilometer in Tunneln unterwegs war. Auf der zweiten Fähre des Tages von Jektvika nach Kilboghamn überquere ich am Abend wieder den Polarkreis. Ein deutsches Pärchen mit einem Wohnmobil, denen ich schon am Gletscher und beim Warten auf die beiden Fähren über den Weg gelaufen bin, erweist sich noch als sehr freundlich und redselig.

 

Tag 28  Kilboghamn - Levang

Als ich an diesem Sonntagmorgen aufwache, herrscht eine himmlische Ruhe. Nur das leise Rauschen eines Baches, ein Buchfink und ab und zu das ferne Läuten von Schafglocken ist zu vernehmen.

Zum Mittag auf einem hübsch gelegenen Rastplatz kommt ein Pole in meinem Alter mit seinen Packtaschen und anschließend dem Fahrrad den Abhang hochgeklettert und verschwindet im Sanitärgebäude. Nachdem ich fertig mit Essen bin warte ich auf seine Wiederkehr. Er erklärt mir, dass er eigentlich Richtung Norden fahren will, sein Fahrrad aber kaputt ist (der Konus ist locker). Er habe es vorgestern reparieren lassen, doch das Problem tauchte wieder auf. Und weil er über 500 Kronen (= 65 Euro) dafür bezahlt habe, will er zum Fahrradladen in Sandnessjøen, über 100 Kilometer von hier, zurückfahren. „I’m so unhappy!“; “I’m so angry“ sagt er immer wieder. Er tut mir wirklich leid. Auch mein Versuch ihn zu trösten, da ich dasselbe Problem habe wie er und trotzdem weiterfahre, scheint nicht zu helfen.

Es ist ein klasse Tag mit wolkenlosem Himmel und wie immer atemberaubender Landschaft und nach einem 350 Meter hohen Berg und drei Tunneln (0,4; 2,8; 2,9 Kilometer) sitze ich wie gestern gegen Abend auf einer Fähre und fahre von Nesna nach Levang.

Mein Plätzchen zum Zelten ist alles andere als optimal, der Boden ist viel zu weich und ich hoffe, dass es nicht allzu viel regnet, da meine Schwimmweste zu Hause liegt.

 

Tag 29  Levang - Brønnøysund

Die Nacht war arschkalt und das Handtuch, das neben dem Zelt liegt, ist an einigen Stellen knusprig. Mein Zelt ist sacknass vom Schwitzwasser und meine Hände sind, nachdem ich es getrocknet habe, fast blau vor Kälte. Auch das Abbauen jeden Morgen nervt allmählich. Am Abend habe ich beschlossen, das Hurtigruten-Schiff von Sandnessjøen nach Brønnøysund zu nehmen, um die beiden Überfahrten mit kleineren Fähren zu umgehen und um etwas zu chillen.

Auf dem Weg nach Sandnessjøen taucht ein junger Niederländer auf, der seit fünf Wochen unterwegs ist und noch weitere vier Wochen geplant hat. Wie quatschen eine viertel Stunde, danach geht es die letzten paar Kilometer zur Fähre.

Im Hafen von Sandnessjøen ist noch Zeit zum Mittagessen, danach genieße ich die Fährfahrt und baue, angekommen in Brønnøysund, auf dem drei Kilometer nahen Campingplatz mein Zelt auf, um dieses auf der sonnigen und windigen Wiese von der letzten Nacht richtig trocknen zu lassen. Langsam wird mir das schöne Wetter, wie es sich auch heute wieder gezeigt hat, unheimlich, denn meine Planungen hatten schlimmeres vorgesehen.

Leider wird auf dem Nachbargrundstück bis etwa 23 Uhr ununterbrochen mit mehreren Traktoren umhergefahren, sodass das Einschlafen etwas schwer fällt.

 

Tag 30  Brønnøysund - "Pampa"

Von Wolken keine Spur rollt es bis zur nächsten Fähre in 50 Kilometern Entfernung mit Rückenwind optimal. Die ständige Insel- und Fjordspringerei per Schiff auf der Rv17 hat den riesigen Vorteil, dass kaum Verkehr ist, Fahrzeuge kommen meistens in kleinen Grüppchen.

Alles klappt wieder prima und zehn Kilometer nach der angenehm frischen Dusche im Bach frage ich zwei Männer vor einer Scheune, ob ich irgendwo auf dem riesengroßen Grundstück mein Zelt aufschlagen darf, „yes, it’s ok“ klingt gut und so lasse ich mir direkt am Fjordrand die Abendsonne ins Gesicht scheinen und kämpfe mit meinem vollen Nudelbauch.

 

Tag 31  "Pampa" - Namsos

In der Nacht beginnt es zu schütten, in einer Regenpause kann ich mein Zelt verstauen. Nach den eisigen letzten Nächten war diese Nacht so warm, dass ich mich nur mit offenem Schlafsack zudecken brauchte. Auf der Fahrt regnet es den ganzen Tag mehr oder weniger oder spritzt von unten, da ich dämlicherweise kein Schutzblech am Rad habe.

Klatschnass beschließe ich in Namsos spontan, keine Lust mehr zu haben. Auf dem Campingplatz baue ich auf, durch das Einpacken des regennassen Zeltes heute Morgen ist leider der Zeltboden nass geworden, meine wasserdichten Packtaschen halten aber ihr Versprechen. Abends liege ich wieder im Trocknen, meine Klamotten lasse ich über Nacht in der warmen Campingplatz-Küche hängen.

 

Tag 32  Namsos - Storsand/Malvik

Beim Aufwachen regnet es nicht mehr, sodass ich noch vor dem Frühstück mein Zelt von allen Seiten trockne. Beim Essen fängt es natürlich wieder an, aber nur für fünf Minuten. Nach dem zweiten Trockengang baue ich schnell ab und fahre los. Einige Zeit später wird der Himmel vielversprechender.

Bis zur Ankunft in Steinkjer schüttet es nur 20 Minuten, in denen ich aber in einem Bushäuschen sitze und Brotzeit mache.

Am Nachmittag schaue ich eine Minute lang wie gebannt auf meinen Tacho, da der Kilometerstand jeden Augenblick die magische 3000 anzeigen wird, auch ein kleines Jauchzen ist auf der sonst stillen Straße zu vernehmen.

Ein paar hundert Meter bevor die Rv17 endet und wieder auf die E6 trifft wieder ein Plattfuß, wieder ein schleichender. Das Problem ist schnell behoben, die Ursache kann ich allerdings nicht finden. Nach dem Erwerb von Lebensmitteln in Steinkjer will ich noch ungefähr 30 Kilometer fahren, doch die E6 ist ab hier für Radfahrer gesperrt und ein Blick auf die Karte zeigt, dass die Umgehungen umständlich sind. Ich schiele zum nahen Bahnhof und kaufe mir nach kurzem Überlegen ein Ticket für die eineinhalbstündige Fahrt nach Stjørdal, von wo aus ich die letzten 15 Kilometer meiner diesjährigen Tour zum Campingplatz nach Storsand fahre, der günstigerweise genau auf halber Strecke zwischen Trondheim und dem Airport liegt. Nachdem diese haarsträubend bergigen finalen Kilometer meiner Tour mit Gepäck geschafft sind fällt mir auf, dass der Campingplatz verdächtig leer ist, beim Gang zur Dusche stehe ich vor der verrammelten Tür des Sanitärgebäudes. Der Campingplatz ist bereits geschlossen, nur einige Dauercamper sind noch da. Ich erinnere mich an ein Schild an der Straße, das auf einen weiteren Campingplatz in 3,5 Kilometer Entfernung hinwies und gehe kurzerhand dort duschen und Wasser holen.

 

Tag 33  Trondheim

Am Vormittag fahre ich zum Flughafen um mich zu vergewissern, wann ich mit dem Fahrrad bei meinem Heimflug in drei Tagen einchecken muss. Vom Airport nehme ich den Zug nach Trondheim. Der Ankunft folgt ein großer Moment, denn ich bin dort, wo ich vor genau vier Wochen und 3000 Kilometern war – auf der Bank vor dem Bahnhofsgebäude am Hafen von Trondheim. Überaus zufrieden lasse ich die Zeit Revue passieren.

 

Tag 34  Trondheim

Diesmal mit dem Rad fahre ich noch einmal nach Trondheim, schaue mir die obligatorischen Sehenswürdigkeiten an und lungere rum.

 

Tag 35

Heute bleibe ich auf dem Campingplatz und schaue Einheimischen auf dem riesengroßen Bootssteg beim Angeln zu.

 

Tag 36  Heimreise

Mit dem Bus fahre ich zum Airport, der Flug von Trondheim nach Oslo und von Oslo nach Hamburg mit Norwegian ist prima. Da ich in der letzten Reihe am Fenster sitze kann ich in Oslo beobachten, wie das Gepäck, darunter auch mein Fahrrad, verladen wird. Dabei wird mir etwas schlecht, denn die Herren klatschen es auf das Band wie alle anderen Gepäckstücke auch. Ich hoffe das Beste.

Kurz vor Hamburg kommen ganz schön viele Schlaglöcher und auch die Landung ist etwas unsanft. Während des Fluges unterhalte ich mich mit einem älteren Paar aus Hamburg, die zum Fischen in Norwegen waren und die erlaubten 2x20 kg Freigepäck pro Person vor allem durch eingefrorenen Fisch nutzen.

Nach der ätzend langen sechsstündigen Zugfahrt nach Hause stehe ich, dort angekommen, im Laufe des Abends staunend vor sämtlichen Haushaltsgeräten, der Dusche und dem Klo und spreche mit jeweils drei Ausrufezeichen deren Namen aus. Daran muss ich mich erst mal wieder gewöhnen. Aber wahrscheinlich wird das leider wieder viel zu schnell gehen.

 

Schlusswort

Im Sommer auf einem Fahrrad durch Skandinavien zu fahren, ist einfach einzigartig! Dass die großartigen Eindrücke, die ich auf dieser und vergangenen Reisen in Schweden gesammelt habe, von Nord-Norwegen übertroffen wurden, hätte ich nicht für möglich gehalten. Das fünft größte Land Europas ist eines der am dünnsten besiedelten, in der Finnmark kommen auf einen Quadratkilometer nur noch 1,5 Einwohner, woraus sich aus der dünnen Infrastruktur gewaltige Entfernungen ergeben und der Verkehr sehr gering ist. Auf der Insel Senja erklärte man mir, dass eine norwegische Meile zehn Kilometern entspricht. Ausnahmslos alle Straßen befinden sich in ausgezeichnetem Zustand, obwohl man so gut wie nie Baustellen sieht. Das Wetter kann mit häufigen Niederschlägen, niedrigen Temperaturen und arktischen Stürmen sehr fahrradunfreundlich sein, doch hier hatte ich unglaubliches Glück, denn meine Schönwetter-Quote lag bei 85%! Gerade das hätte ich nie für möglich gehalten, mental und ausrüstungstechnisch war ich auf wochenlanges Regenwetter eingestellt. Auch die in sämtlichen Reiseberichten prophezeiten Mückenschwärme, die teilweise den Himmel verdunkeln können, blieben aus.

Alle Menschen, denen ich in Skandinavien begegnet bin, waren unvergleichlich nett. Ich behaupte, dass man den Leuten eine viel größere allgemeine Zufriedenheit anmerkt. Auch als Autofahrer sind mir die Schweden und Norweger immer rücksichtsvoll begegnet.

Besonders in Norwegen macht jedoch das Einkaufen keinen Spaß. Wenn man im billigsten Supermarkt zum Beispiel für eine Packung einfache Kekse 2-3 Euro bezahlt, bekommt man ab und zu schon mal Schluckauf. Für einen Kebab inkl. 0,5l Cola bezahlt man am Imbissstand zwischen 9 und 12 Euro. Ich erlaube mir zu sagen, dass die hohen Lebenshaltungskosten andererseits den positiven Effekt haben, dass die Sorte Touristen, die sich oft daneben benimmt, dieses Land nicht besucht.

Durch die grandiose Landschaft mit ihren Fjorden, Bergen, Seen, endlosen Wäldern und der Tundra werden meine Erinnerungen an diese Tour so schnell nicht verblassen.

Ich hoffe, mit meinen Worten einige meiner Leser angeregt zu haben, ähnliche Reisen zu planen oder dem einen oder anderen bei der Entscheidung, eine seit längerem gedachte Tour tatsächlich durchzuführen, geholfen zu haben.